Taprogge, Oblt.
3./Kampfgeschwader 55
O.U. den 13.7.1944

Einsatzbericht der Besatzung Oblt. Taprogge vom 1.7.1944

Am 1. Juli 1944 startete ich mit dem Flugzeug He 111 G1+LL zur Versorgung der bei Sloboda eingeschlossenen deutschen Truppen. Wir flogen unser Ziel im Verband an, um dann einzeln im gedrückten Gleitflug den feindl. Gürtel zu erreichen, ihn im Tiefstflug zu überfliegen, und durch kurzes Hochziehen die Abwurfhöhe zu erreichen und dann wieder im Tiefstflug abzufliegen. Diese Art des Anfluges hatte sich bei der massierten Bodenabwehr durch leichte und mittlere Flak als die beste erwiesen, da nur so unter Ausnutzung der Bodenbeschaffenheit die Masse der Abwehr ausgeschaltet werden konnte. Unmittelbar nach Überflug der feindlichen Spitzen setzte von allen Seiten das Feuer leichter Batterien ein. In der Dämmerung waren die Batteriestellungen, infolge der Leuchtspur und des Mündungsfeuers gut auszumachen und konnten durch gutliegendes Feuer eigener Bordwaffen in 3 beobachteten Fällen zum zeitweiligen Einstellen des Feuers gezwungen werden. Noch vor Erreichen des Zieles erhielt das eigene Flugzeug 3 Kanzeldurchschüße, sowie mehrere Treffer in Fläche und Rumpf. Kurze Zeit später schlugen 3 Treffer in den Kühler, sowie die Hauptkühlstoffleitung rechts. Ich entzog mich zunächst unter Ausnutzung eines Hochwaldes der Feindsicht, warf die Versorgungsbomben im Notwurf in ein Sumpfgelände, wo sie ohne Fallschirmöffnung in den Boden schlugen, und mußte daraufhin, wegen der erhöhten Brandgefahr das Flugzeug hochziehen. Ich erreichte noch eine Höhe von etwa 120 Metern, als bereits die Zeichen eines beginnenden Motorbrandes sichtbar wurden. Daraufhin stellte ich den Motor sofort ab und ließ die Panzerplatten sowie alle auszubauenden Teile abwerfen. Die technischen Vorgänge gingen reibungslos und ohne Beanstandungen. Bei der geringen Flughöhe und den zur Abenddämerung nur schwachen, aber noch auftretenden Vertikalböen über Sumpf und Wald, hielt das Flugzeug die Höhe, sowie die Fahrt nicht. In der Erkenntnis, daß mir jeden Kilometer dienlich sei, flog ich auch in immer geringer werdender Höhe weiter nach Westen.
In Baumhöhe mußte ich dann leider einem einzelstehenden Baum ausweichen, was unmittlebar darauf eine Bauchlandung notwendig machte.
Die stark sumpfige Wiese ließ das Flugzeug nicht weit gleiten, sondern fing den Landestoß mit einem Aufschlag auf. Von der Besatzung war der Bordschütze durch einen Flaksplitter im rechten Schienbein verletzt, der Bordmechaniker zog sich beim Aufschlag eine hartnäckige Knieverletzung zu und ich selbst erlitt nur leichtere Muskelprellungen und einen Bluterguß im linken Unterarm und Ellbogen.
Wir verließen das Flugzeug sofort, sicherten zu einem anliegenden Waldstück hin und wollten dort zunächst die Feindlage erkunden. Schon nach einigen Schritten wurden wir vom Waldrand auf russisch angerufen, und sahen rund 20 bis 30 Gestälten sich auf uns zu bewegen. Ich befahl sofort Deckung und zog mich in Sprüngen Richtung Flugzeug zurück, wobei wir von 2 oder 3 MGs, sowie mehreren Gewehren unter Feuer genommen wurden. Mit unseren Pistolen erwiderten wir dasselbe nur kümmerlich, während 2 Mann den Versuch unternahmen ein MG 81Z auszubauen.
Das zur Deckung gut auszunutzende Gelände machte ein langsames Zurückziehen und ein Hinsuazögern des Angriffs durch die uns feindlich ercheinenden Schützen möglich. Nach rund 5 Minuten Feuerwechsel hörte ich von der Gegenseite Rufe: Hierher kommen, wir sind Deutsche! Zunächst mißtraute ich dem Ruf, blieb mit der Besatzung in Deckung und stellte in absichtlich lässigen Straßendeutsch die Gegenfrage: Von welcher Einheit unf welchen Standort? Die Frage wurde gut verstanden und einwandfrei beantwortet. Bei Annäherung stellte sich fest, daß der Kradschützenzug des Pz.Gren.Rgt. 5 vor uns lag, der die Nachhut des Regiments bildete und zur Sicherung des im Abrücken begriffenen Regts.-Gefechtstandes ausgestellt war, während die Kompanien sich bereits vom Feind gelöst und rückwarts gelegene Stellungen bezogen hatten. Im schnellen Ausbau gelang es noch die Fallschirme, sowie einigen Gerät aus dem Flugzeug zu bergen. Durch das Auftauchen eines feindlichen Spähtrupps 150 m vor der Bruchstelle, mußte die Arbei aufgegeben und das Flzg. gesprengt werden. Wir fuhren dann auf Fahrzeugen des Regiments in die neue HKL zurück und verblieben die Nacht beim Rgts.-Gefechtsstand, wo wir in vorbildlich kameradschaftlicher Weise aufgenommen und nach meinem Ermessen über das Vermögen einer Infanterie-Einheit hinaus versorgt wurden. Bei Anbruch des Tages fuhren wir mit einem LKW des Regiments über Marina-Gorka zurück zum Troß, wo wir auf besonderen Befehl des Kommandeurs, Herrn Oberstlt. von Puttkamer und des Adjutanten, Herrn Hptm. Kulau, verpflegt werden sollten. Ich bedankte mich jedoch und fuhr mit Kampfwagen der 12. Pz.Div. (Pz.Rgt. 29), die in neue Bereitstellungen fuhren, in Richtung Minsk. Wegen Straßensperrungen ging es südl. Minsk vorbai in Richtung Stolpce. Die Einheit ging dort ins Gefecht, sodaß wir zunächst mit einer Transportkolonne ein Stück vorwärts kamen, dann aber kurz vor Stolpce festsaßen. Ich sah auf dem naheliegenden Eisenbahngleis einen Zug Richtung Minsk fahren, ging deshalb bis zum Bahnhof, um dort eine Transportmöglichkeit zu erkunden. Dort traf ich auf einen aus 3 Wagen und einer Lok bestehenden Sicherungszug von Eisenbahnern, der abgestellte Waggons aus dem Bhf. Stolpce bergen sollte. Da der Bahnhof bereits unter Beschuß von Feindpanzern lag, fuhr der Zug nach Minsk zurück, wo... ich mit meiner Besatzung dann anschloß. Die Bilder des Rückzuges, die sich uns in den kommenden Tagen boten, waren der kra... Gegensatz zu der Haltung des Soldaten in der HKL beim Pz.Gren.Rgt. 5, waren ein Faustschlag ins Gesicht des dort kämpfenden Grenadiere. Plündernde Hilfswillige und Kriegsgefangene auf Transportzügen rückwärtiger Dienststellen, mit wenigen schwunglosen deutschen Soldaten ohne jede Initiative, in der Mehrzahl restlos betrunken, machten es notwendig, daß ich mir schon in den ersten Stunden nur mit der Faust, oder mit der Pistole Respekt verschaffen konnte. Bekleidungsgegenstände, sowie Verpflegung jeglicher Art wurden in der Sucht und im Stil eines wahnsinnige gewordenen und betrunkenen Parvenues von Zug zu Zug geworfen, sodaß nur die Waffe eine weitere Zerstörung dieses rückgeführten Gutes verhindern konnte (es kam in keinem Fall zu Verletzungen). Die Besatzung war inzwischen in Besitz von Gewehren, Munition und Handgranaten, die überall stehen geblieben waren. Auf diese Art fuhren wir bis Minsk, wo die Sprengkommandos die restlichen Sprengungen durchführten. Dort mußte ich auf einen Transportzug übersiedeln, auf dem Bekleidungslager, sowie techn. Gerät geladen war. Bei der Stauung auf den Strecken leisteten die Eisenbahner, insbesondere das Führungspersonal, sowie die Lokführer unermüdliche Arbeit bei Tag und Nacht. Die Fahrt ging weiter in Richtung Molodetschno. Am Nachmittag des 3. Juli stand unser Transportzug westlich Ssaslawl, als ich Geschützdonner hörte und eine steigende Unruhe, sowie eine regelrechte Flucht von hunderten von Soldaten Richtung Molodetschno bemerkte, die die vordersten Transporte zu erreichen suchten. Da ich aber gerade damit beschäftigt war, den Sturm auf einen freigegebenden Verpflegungswaggon, wo sich einige Soldaten mit beiden Füßen in der Butter herumtrampelnd schlugen, in eine disziplinierte Verpflegungsausgabe umzuwandeln, hatte ich erst später Zeit den Grund der Unruhe zu erkunden.
Ich erfuhr und bemerkte dann, daß hinter uns stehende Züge von Feindpanzer eingeholt und beschossen worden waren. Ich befahl daraufhin die Unterstellung aller in meiner Nähe liegenden Züge, sowie der dabei befindlichen Soldaten unter meinen Befehl, ferner das Bereitlegen von geballten Ladungen und verbot allen Soldaten sich von ihrem Transport zu entfernen. Im Falle eines weiteren Vordringens der Panzer, wollten wit uns, weil panzerbrechende Waffen nicht zur Verfügung standen, in einen angrenzenden Wald hinter einer Höhe zurückzuziehen. Dem Kommandeur eines vorbeirollenden und in Stellung gehenden Grenadier-Btl. Der 5. Pz.Div. machte ich die Meldung von der Feindlage, worauf dieser durch Funk Unterstützung durch panzerbrechende Waffen der Division anforderte. Diese Nachricht brachte bei gleichzeitiger klarer Befehlsgebung Ruhe, sodaß die Züge hier auf freier Strecke unter Einsatz aller Männer Kohlen und Wasser bunkern konnten. An Offizieren sah ich im Verlaufe dieser Ereignisse nur wenige, von denen sich sieben (teilweise verwundet) sofort zur Verfügung stellten, andere dagegen ebenfalls in Richtung Westen abzogen. Einige ältere Herren waren der Situation, wahrscheinlich aus Gründen bürgerlicher Hemmungen, nicht gewachsen und ließen zum Teil alles hinter sich liegen. Unter anderem ein älterer Hauptmann, Kommandant der Strafgefangenenabteilung Marina-Gorka, der, wie ich später erfuhr, mit seinem Aufsichtspersonal und einem Teil der Gefangegen nach Westen ging und bei seinem Inventar 5 Strafgefangene mit Händedruck und ermuternden Worten, sich nun zu bewähren, zurückließ. Von diesen 5 Gefangenen waren 3 zum Tode verurteilt, die dann auch später in eine Partisanengebiet mit Waffen vom fahrenden Zug gesprungen und in einem Partisanenwald entflohen sind. Dieser Umstand wurde mir erst kurz vor der Flucht, während der Zug fuhr, bekannt. Ich gab die Meldung darüber an einen an der Bahnlinie liegenden deutschen Stützpunkt, damit dieser unter Umständen die Fahndung aufnehmen konnte.
Im Verlauf der ganzen Ereignisse fand ich Rat bei Herrn Oberstlt. Götz vom Luftflottenkommando 6, der in gleicher, noch schwieriger Lage bei einigen Transporten hinter uns war und den ich manchmal an einigen Haltepunkten, bzw. Bahnhöfen traf. Späterhin hatte ich Unterstützung durch den Kommandeur und das Offizierkorps einer Flakabteilung die mit ihrem Transport auf einen Bahnhof hinter uns einrangiert worden waren. In dieser Zusammenarbeit konnten Gleissprengungen teilweise selbst beseitigt und sonstige Schwierigkeiten überwunden werden. Die angespannte Lage mit Gleissprengungen, Tieffliegerangriffen, Bandenbeschuß und Zugzusammenstoß (durch Übermüdung der Lokführer) hielt bis zu Einfahrt in Lida an. Zur Unterstützung des total erschöpften Lokführers war stets ein Uffz. eingeteilt, der ein Einschlafen desselben und damit ein Unglück verhinderte.
Von Lida aus wurde das Abrollen der Züge planmäßig eingeleitet. Ich trennte mich in Wolkowysk mit der Besatzung vom Transprt, um möglichst schnell meine Einheit zu verständigen und fuhr mit einem SF-Zug über Warschau nach Deblin, wo ich am 7. Juli 1944 0800 Uhr eintraf. Die Haltung meiner Besatzung war trotz Verwundung oder Beschädigung in jeder Weise Vorbild und hat durch das zähe und unermüdliche Wachen und Zusammenhalten alle Schwierigkeiten überwinden lassen. Wir alle hatten trotz dieser Wirrnisse nur ein Bild vor Augen, den Grenadier aus der HKL.

gez. Taprogge, Oblt.

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